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[1260] Das Flüstern der Brücken [Bogdan, Jaromir]
Verfasst: Do Aug 21, 2025 8:02 am
von Bogdan
Unter der alten Brücke der Weichsel floss das Wasser schwer und dunkel durch die steinernen Bögen.
Feuchtigkeit sickerte von den Wänden,
Moos hing in Fetzen herab.
Tropfen fielen in unregelmäßigen Abständen in den Fluss.
Zwischen zwei Steinen hatte sich ein kleines Schiffchen verkeilt.
Die Strömung zerrte daran, ließ es zittern, doch es hielt stand.
Am schmalen Mast war ein Stück Leder befestigt, sorgsam zusammengerollt.
Schrift zeichneten sich darauf ab, kaum sichtbar im Dämmerlicht.
Im Schatten kauerte eine Gestalt unter dem Brückenbogen.
Reglos, verborgen vor den Lichtern der Stadt.
Die Augen folgten dem schwankenden Boot, dem schimmernden Leder am Mast.
Doch die Hand streckte sich nicht aus.
Noch nicht.
Sie lauschte.
Den Blick fest auf das Schiffchen geheftet.
Re: [1260] Das Flüstern der Brücken [Bogdan, Jaromir]
Verfasst: Do Aug 21, 2025 8:30 am
von Jaromir der Henker
Unter dem Gewölbe der Brücke stand Jaromir wie ein Schatten. Sein Körper, in grobes, dunkles Tuch gehüllt, verschmolz beinahe mit dem feuchten Stein. Der Gestank aus Moder, Schlamm und altem Holz mischte sich mit etwas, das er besser kannte als jeder andere: Angst, die in der Stadt über dem Fluss schwebte wie Nebel.
Langsam drehte er den Kopf. Er spähte entlang des Ufers, in die Nebelstreifen, die der Wind vom Wasser herauftrug. Er blieb still, so wie Borivoj es ihm beigebracht hatte.
Dann wanderte sein Blick zurück zu dem kleinen Schiffchen. So unscheinbar, und doch... etwas daran rief ihn. Das Leder flatterte sanft am Mast, beschriftet mit Zeichen, die ihm fremd waren, wie Zeichen einer anderen Welt. Jaromirs entstelltes Gesicht blieb reglos, während er das Boot aus der Strömung zog. Die klauenartigen Finger, vom Wasser glänzend, griffen es fest, und Tropfen liefen wie Blutperlen an den Kanten hinab.
Er entfaltete das Leder. Schwarze Striche, geordnet und klar, aber für ihn stumm. Ein leises Knurren entwich seiner Kehle. Nicht vor Zorn, sondern vor Ungeduld – Wissen war Macht, und das hier war etwas, das er nicht greifen konnte.
Er hob den Kopf, sah flussaufwärts. Seine Schultern spannten sich unter dem feuchten Stoff. Wer auch immer das Schiff geschickt hatte, musste dort oben sein. Vielleicht im Nebel? War es nur ein kindlicher Scherz? Aber welches Kind konnte lesen und schreiben?
Jaromir steckte das Leder unter seinen Mantel. Dann ging er los, leise wie das Wasser selbst, immer weiter flussaufwärts, auf der Suche nach dem Urheber der Nachricht.
Re: [1260] Das Flüstern der Brücken [Bogdan, Jaromir]
Verfasst: Do Aug 21, 2025 9:42 am
von Bogdan
Ein paar hundert Meter weiter blieb Jaromir stehen.
Die Weichsel strömte schwer und träge, riss an den Wurzeln eines alten Baumes, der schief ins Wasser hing.
Zwischen den knorrigen Ästen hatte sich ein weiteres Schiffchen verfangen.
Sein Mast ragte schief empor.
Kein Leder hing daran.
Nur ein dünnes, dunkles Bändchen, das noch im Wind zitterte.
Jaromirs Blick folgte der Strömung, dann dem Ufer.
Kaum zwanzig Schritte entfernt hockte eine Katze.
Gestreiftes Fell, gelbe Augen.
Sie starrte ihn an, reglos wie ein Wächter.
Hinter ihr erhob sich ein verfallenes Haus.
Die Balken schwarz, das Dach gebrochen, der Steg ins Wasser halb zerfallen.
Dunkelheit drängte aus dem Inneren, schwer wie Atem.
Und dann – eine Stimme.
Tief. Ruhig.
Noch fern.
Sie kam aus dem Haus, als spräche jemand mit dem Fluss selbst.
Die Katze zuckte nicht.
Der Fluss schwieg.
Nur die Stimme hallte leise, getragen vom Wasser.
Re: [1260] Das Flüstern der Brücken [Bogdan, Jaromir]
Verfasst: Do Aug 21, 2025 11:24 am
von Jaromir der Henker
Jaromir blieb reglos stehen, die Augen auf die Katze geheftet. Ihr Fell glänzte feucht im Licht des Mondes, und ihre gelben Augen schienen ihn nicht nur anzusehen, sondern zu durchdringen.
Langsam kniete er sich hin, stützte die Hände auf den nassen Boden. Die Dunkelheit legte sich schwer auf seine Schultern, während er ein leises Flüstern, kaum hörbar aus seiner Kehle entließ.
Die Katze blinzelte träge, dann legte sie den Kopf schief. Jaromir sprach erneut, dieses Mal klarer, mit einer Betonung, die Tiere verstanden:
„Hast du gesehen, wer etwas - ein kleines Schiff - es roch nach Leder und Holz - in den Fluss gesetzt hat?“
Re: [1260] Das Flüstern der Brücken [Bogdan, Jaromir]
Verfasst: Fr Aug 22, 2025 8:35 am
von Bogdan
Die Katze legte den Kopf schief.
Betrachtete ihn neugierig aber mit einer ordentlichen Portion Vorsicht.
Offensichtlich, war sie an Wesen wie ihn gewöhnt.
Eine normale Katze hätte anders reagiert.
„Du bist anders als der eine …
bist sonst nicht hier …“
Sie schnüffelte.
„Bist frischer als der eine.“
Sie taxierte ihn.
„Bist kälter und hässlicher als der andere.“
Sie öffnete den Mund.
Lies die Zunge heraus schlüpfen.
„Hast du Fisch?“
Re: [1260] Das Flüstern der Brücken [Bogdan, Jaromir]
Verfasst: Fr Aug 22, 2025 8:59 am
von Jaromir der Henker
Jaromirs Gesicht verzog sich zu etwas, das ein Lächeln sein sollte, aber mehr nach einer Fratze aussah. Hässlicher als der andere? Das nagte ein wenig an ihm. Für einen Moment spannte sich seine Kiefermuskulatur, als müsste er die Worte der Katze herunterschlucken.
„Hässlich …?“
Die Stimme kam tief, wie das Knurren eines Hundes im Schlaf. Seine Augen funkelten unter der Kapuze, doch statt einer Antwort kam nur ein heiseres Fauchen, das sich in einen seltsamen Laut verwandelte – einen, den keine menschliche Kehle formen konnte.
Der Befehl kroch in die Knochen der Katze wie kaltes Wasser:
„Jagen. Jetzt. Dann ruhe dich aus und jetzt VERSCHWINDE.“
Die Pupillen der Katze weiteten sich, ein Zucken lief durch ihre Muskeln. Einen Herzschlag später wandte sie sich ab und verschmolz mit dem Gras am Ufer, fast geräuschlos, nur das Knacken eines Zweiges verriet ihre Abwesenheit.
Jaromir blieb noch einen Augenblick in der Hocke, der Blick dem dunklen Haus zugewandt. Kein Licht. Nur das schiefe Dach, der schwarze Schlund der offenen Tür. Die Stimme war wieder da – ein Murmeln, tief, fremd, fast wie ein Gebet, getragen von der Dunkelheit. Worte, die er noch nicht verstand, aber die eine Schwere in sich trugen, die seine Haut kribbeln ließ.
Langsam, jeden Schritt bedächtig setzend, begann Jaromir sich vorwärts zu bewegen. Seine Bewegungen verschmolzen mit den Schatten, der Geruch von feuchtem Holz und Moder legte sich auf seine Zunge. Näher. Leiser. Die Dunkelheit umschlang ihn wie ein nasses Tuch.
Als er die Hauswand erreichte, hielt er inne.
Das Gemurmel war klarer jetzt. Eine Männerstimme. Ruhig. Monoton. Doch kein Gebet.
Re: [1260] Das Flüstern der Brücken [Bogdan, Jaromir]
Verfasst: Do Aug 28, 2025 9:48 am
von Bogdan
Jaromir stand nahe des verfallenen Hauses.
Dort, wo eben noch die Katze saß.
Der Steg knarrte leise.
Die Weichsel atmete.
Er lauschte.
Aus der Dunkelheit kam eine Stimme.
Tief. Ruhig. Alt.
Bogdan sprach.
Er erzählte.
Jaromir rührte sich nicht.
„Ich war alt, als ich ihm begegnete“, sagte die Stimme.
„Kein Junge mehr. Ein Jagdmeister, der zu viel gesehen hatte.“
Kurze Pause.
Das Wasser strich am Holz entlang.
„Es war Winter. Der Wald war hart. Die Fährten klar.
Ich folgte einer Spur und fand keinen Hirsch.
Ich fand einen Mann.“
Ein fernes Schaben.
Vielleicht Leder auf Holz.
„Dunkle Augen. Ein ruhiger Gang.
Abdul ibn Yussuf.“
Der Wind wechselte.
Schilf raschelte.
„Er sprach sanft. Er prüfte hart.
Nicht mit Schlägen. Mit Fragen.
Er zeigte mir Schweigen.
Und er zeigte mir Maß.“
Jaromir blinzelte.
Er blieb im Schatten.
„Ich blieb sterblich. Lange.
Er lehrte mich, was Nacht bedeutet.
Er lehrte mich, was ein Eid bedeutet.
Er zeigte mir die Ordnung der Höfe.
Die Via Regalis.
Wie man trägt, statt prahlt.
Wie man dient, statt fordert.“
Die Stimme senkte sich.
„Ich jagte mit ihm.
Ich lernte Worte, die nicht aus Polen stammen.
Arabisch. Alte Namen für Sterne.
Und das Lauschen auf Dinge, die keine Namen haben.“
Ein Tropfen fiel von der Dachkante.
Zerplatzte im Schlamm.
„Er stellte Prüfungen.
Geduld. Schweigen.
Wahrheit, ohne Beifall.
Gnade, ohne Zeugen.“
Die Weichsel strömte langsam.
Jaromir atmete flach.
„Dann kam der Sturm.
Reiter aus Osten.
Feuer, das kalt brannte.
Ich war alt.
Mein Körper war Erde.
Er sagte mir: Wähle.“
Ein leiser Druck in den Worten.
Wie Schnee vor dem Brechen.
„Sterben.
Oder trinken.
Damit der Eid nicht stirbt.“
Kurze Stille.
„Ich wählte.
Nicht unbedingt um länger zu leben.
Sondern um den Schwur zu halten.
Für Krakau.
Für das Land.
Um den Feind zu bekämpfen.
Aber auch zu verstehen.“
Die Stimme wurde weicher.
„Sein Blut war kein Triumph.
Es war Pflicht.
Salz. Eisen.
Ein Tor, das sich öffnet.
Und nie wieder ganz schließt.“
Ein fernes Knarren im Haus.
Alte Balken, die sich streckten.
„Ich ging hinaus.
Die erste Nacht war klar.
Der Mond stand tief.
Ich hörte den Fluss sprechen.
Und wusste, wem ich nun diene.“
Noch ein Atemzug.
„Abdul blieb mein Lehrer.
Er führte nicht an der Leine.
Er führte am Maß.
Am Pfad der Weisen.
Dienst. Rat. Ordnung.
Nicht um zu herrschen.
Um zu bewahren.“
Die Stimme verwehte kaum.
„Ich bin sein Kind.
Und Sohn dieses Landes.
Ich halte, was ich gab.
So lange, bis der Fluss mich ruft.“
Es wurde still.
Nur Wasser.
Nur Wind.
Das verfallene Haus.
Re: [1260] Das Flüstern der Brücken [Bogdan, Jaromir]
Verfasst: Do Aug 28, 2025 11:54 am
von Jaromir der Henker
Jaromir hörte die Worte und spürte etwas in ihnen, das schwerer war als eine Drohung. Maß. Eid. Ordnung. Via Regalis. Kein Name, den ein Bauer kannte. Kein Gebot, das Menschen bindet. Das war einer der Wege. Sein Weg.
Und Jaromir begriff – er stand hier nicht allein. Er stand nahe einer Zuflucht, vielleicht in einer Domäne. Unter einer Ordnung, die älter war als das Holz dieses Hauses.
Die Weichsel floss unentwegt weiter. Jaromir bewegte sich. Langsam. Sichtbar. Kein Jäger mehr, der sich anpirscht.
Er trat aus dem Schatten des Hauses. Schlamm klebte an den Stiefeln, das Blut war längst dunkel geworden auf seiner Kleidung. Sein Rücken war gerade, sein Blick fest. Die Hände leer, die Axt am Gürtel.
„Herr des Hauses.“ Seine Stimme war tief, ohne Zittern. „Ich wusste nicht, wessen Schwelle ich überschreite. Ich bekenne mich.“
Ein Schritt weiter, er nahm das Tuch, das den unteren Teil seines Gesichtes verborgen hatte ab und die Kapuze zurück.
„Ich bin Jaromir. Neugeborener der Verborgenen. Kind des Borivoj. Ich wollte eure Domäne nicht uneingeladen betreten - ich nur einer, der seinen Weg sucht.“
Die Stille die folgte war zäh, wie Leim
Re: [1260] Das Flüstern der Brücken [Bogdan, Jaromir]
Verfasst: Do Aug 28, 2025 1:06 pm
von Bogdan
Das „Haus“ vor dem Jaromir stand, war kaum mehr als vermoderte Balken.
Der Reisig auf dem Dach war längst lückenhaft.
Teile der Wände waren eingerissen.
Neue „Fenster“, erlaubten seitlich den Blick, in etwas, das vor langer Zeit, einmal ein heimeliges Heim gewesen war.
Drinnen war es dunkel.
Doch als Jaromir nun vor dem Steg zur Weichsel stand, konnte er drinnen einen dunklen Schemen erkennen.
Der sich rasch, aus sitzender Postion erhob.
Die Stimme verstummte.
Zwei rote Augen, wie Kohlestücke glühten auf.
Namen den Besucher vor der Öffnung in Augenschein.
Die dunkle Stimme, die eben noch eine andere Geschichte erzählt hatte, erhob sich erneut.
Nicht laut, mir einem warmen Nachklang.
„Ich bin selbst nur ein Gast in diesem Hause, werter Jaromir, Kind des Borivoj.
Mich hast du, nicht beleidigt.“
In der Dunkelheit mochte der Nosferatu ein respektvolles Nicken erahnen.
„Mein Name ist Bogdan,
Kind des Abdul ibn Yussuf,
Neugeborener des Clans des Tieres,
Wächter Krakaus.
Es ist schön, dich zu treffen.
Was führt dich, zu dieser Zeit, an diesen uralten Ort ?“
Langsam trat der Alte ein wenig näher heran.
Lies zu dem Nosferatu, aber sichere drei bis vier Meter Abstand.
Vor Jaromir, stand ein alter Mann, tiefe vom Wetter gezeichnete Falten um Augen und Stirn, erzählten von einem langen Leben. Sein Gewand ist schlicht, nach Wald und Rauch riechend, an einem ledernen Gürtel, hing in einer Scheide, ein großes Jagdmesser. Der Mantel, den er normalerweise darüber trug, mochte irgendwo innerhalb des Hauses über einem Stein ruhen.
Re: [1260] Das Flüstern der Brücken [Bogdan, Jaromir]
Verfasst: Do Aug 28, 2025 1:30 pm
von Jaromir der Henker
Er sah die Glut in den Augen des Alten und überlegte ob er so etwas schon einmal gesehen hatte. Was wusste er über den Clan des Tieres? Nicht viel...
Jaromir selbst schien die Dunkelheit nicht zu stören, er konnte den Alten und auch die Ruine gut sehen.
Er antwortete nicht sofort.
Lies die Ruhe zwischen ihnen einen Moment bestehen. Dann:
„Ich hatte… Gesellschaft“, sagte er.
Die Worte klangen rau, als kämen sie aus tiefem Holz.
„Männer aus dem Osten. Reiter. Ich habe Blut vergossen. Zu viel, vielleicht. Ich wollte den Spähtruppen aus dem Weg gehen. Deshalb bin ich hier.“
Er trat einen Schritt zur Seite, so dass der Fluss im Blick blieb, und der Mann im Schatten auch.
„Ich suche keinen Streit, Bogdan. Ich will wissen, ob ich hier Zuflucht finden kann. Oder ob dieser Wald schon einem Eid gehört.“
Ein schmaler Zug über sein Gesicht, wie ein Schatten von Respekt.
„Ich bin noch jung in dieser Nacht. Nicht so töricht, fremden Boden absichtlich zu betreten.“
Die Weichsel rauschte, langsam, dunkel.
Jaromirs Stimme blieb ruhig, doch sie hatte den Druck der Notwendigkeit.
„Kann ich mich hier bewegen – ohne, dass ich Grenzen breche? Ist es in Krakau sicher für unsereins?“
Er wartete.
Die Hände blieben locker, der Körper still, er wollte den Alten nicht provozieren.