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[1259] Der alte Wald (Zbigniew, Gabriel)

Verfasst: Do Jun 26, 2025 1:29 pm
von Gabriel
Der Wald empfing ihn mit lautloser Umarmung.

Gabriel hatte die Straße lange hinter sich gelassen. Dort, wo der letzte Hauch von Hufeisenglanz und Wagenrinnen endete, begann das uralte Dunkel. Er trug wieder die Kleidung eines einfachen Soldaten – unscheinbar, widerstandsfähig. Kein Wappen, keine Zier. Nur Stoff, Stahl, und der Blick eines Mannes, der wusste, was er suchte.

Die ersten Äste schienen sich wie Finger über dem Pfad zu schließen. Nebel hing zwischen den Stämmen, nicht als Schleier, sondern als atmendes Wesen. Der Boden unter seinen Stiefeln war weich, von Moos durchzogen und übersät mit Wurzelflechten, die sich wie Runen über vergessene Geschichten zogen.

Die Luft roch nach Erde und altem Versprechen. Kein Laut von Vögeln, keine Hast des Windes – nur das gelegentliche Knacken eines Zweigs in der Ferne, als würde der Wald selbst über seinen Schritt nachdenken.

Gabriel ging langsam, mit jener Art von Achtsamkeit, die nicht aus Furcht geboren wird, sondern aus Respekt. Jeder Baum wirkte wie ein Wächter, jeder Schatten wie ein Gedanke, der an etwas Längstverlorenes erinnerte.

Er suchte Zbigniew. Den, den man den Strażnik Lasu nannte.
Oder vielmehr: Er folgte dem Gefühl, dass der Wald selbst ihm den Weg weisen würde.

Denn dies war kein Ort, den man einfach betrat. Es war ein Ort, der einen einließ. Oder eben nicht.

Re: [1259] Der alte Wald (Zbigniew, Gabriel)

Verfasst: Do Jun 26, 2025 3:42 pm
von Zbigniew
Gabriel lief eine Weile, ziellos den Wegen folgend. Tiefer in den Wald hinein, mal links abbiegend und mal rechts. Die Nacht wurde dunkler, die Bäume knorriger, die Luft ein wenig kälter. Eine Weile später kam er an einem Wildwechsel vorbei. Ein kleiner Pfad, der links in den Wald hinein führte. Er war schon ein paar Schritte an ebenjenem vorbei gegangen, da hörte er ein leises 'komm zurück ...'.

Er zögerte kurz, schaute sich um. Niemand war dort. Als sein Blick erneut den Wildwechsel streifte, hörte er es wieder. Wie ein leiser Windhauch, '... dort entlang'. Kein Zwang, ein Vorschlag. Der Wind schien etwas aufzufrischen, ihn sanft in die Richtung des Windwechsels bewegen zu wollen. Dieser schien alt, ausgetreten, gut begehbar.

Das war die Einladung. Die Einladung des Waldes. Die Einladung des Wächters. Gabriel folgte dem Pfad, kam vorbei an zwei Bachläufen, von denen er einen überspringen musste, gleich neben einem abgestorbenen Ahornbaum. Weiter ging er, an einem alten Jagdstand vorbei. Halb verfallen und überwuchert ragte er rechts neben dem Weg aus dem Unterholz. Er ging, bis er schließlich an einem Hügelrücken ankam, bewachsen von einer Reihe alter Birken. Die Wurzeln waren freigelegt, wie bleiche Finger der Toten, alt und in die Erde greifend. Es war ein besonderer Ort. Eine Krähe schien ihn zu beobachten. Als er seinen Kopf zu ihr drehte, legte sie den Kopf quer, um dann mit einem "kraaaah ..." aufzusteigen und im Wald zu verschwinden.

Hier musste es sein. Hier würde Gabriel den Wächter des Waldes finden. Oder auf ihn warten?

Re: [1259] Der alte Wald (Zbigniew, Gabriel)

Verfasst: Fr Jun 27, 2025 1:01 am
von Gabriel
Gabriel ließ sich nieder, dort, wo die Wurzeln der alten Birken wie bleiche Finger aus der Erde ragten.

Der Nebel zog in dünnen Schleiern zwischen den Stämmen hindurch, und das Licht der Mondsichel fiel nur in feinen Fäden auf das Moos zu seinen Füßen. Es war still – nicht leer, sondern gefüllt mit etwas Tieferem. Mit Erwartung. Mit Erinnerungen, die der Wald zu atmen schien.

Er schloss für einen Moment die Augen, ließ das Rascheln der Blätter auf sich wirken, das Tropfen von Feuchtigkeit auf Holz, das ferne Knacken, das kein Tier gewesen sein konnte – oder gerade doch.

Hier, inmitten des Alten, war nichts selbstverständlich. Jeder Laut hatte Gewicht. Jeder Schatten schien zu schauen.

Gabriel zwang sich nicht zur Geduld – sie war ihm längst zur zweiten Haut geworden. Doch in dieser Nacht war es mehr als Warten. Es war ein Lauschen, ein Aufnehmen, ein vorsichtiges Annähern an etwas, das sich nicht jagen ließ, sondern nur erscheinen konnte.

Vielleicht war Zbigniew nah. Vielleicht fern. Vielleicht sah er ihn längst.
Gabriel wartete. Nicht weil er musste. Sondern weil es hier... richtig schien.

Re: [1259] Der alte Wald (Zbigniew, Gabriel)

Verfasst: Mi Jul 02, 2025 9:04 am
von Zbigniew
Das Gebüsch raschelte neben ihm. Gabriel drehte sich um und entdeckte den Strażnik Lasu, der mit seiner großen rostigen Axt ein paar Äste zur Seite schob, um schließlich herauszutreten. Der Untote schien etwas überrascht, den Krieger Krakaus hier zu finden. Dann kam ein kurzes kratziges Lachen über seine Lippen.

"Ich sehe, ihr haltet es wie Bogdan, der Weise. Folgt den Geistern des Waldes, nicht den alten Göttern." Es war keine Kritik, vielleicht eine Spur Stolz oder Genugtuung in seiner Stimme. "Es freut mich, dass ihr den Weg in den Wald - und zu mir - gefunden habt. Und ich danke euch, dass ihr mir geholfen habt." Er hob kurz beschwichtigend die Hand. "Nein, ihr könnt nicht wissen, womit." Dann wurde sein Lächeln breiter, verschlagener. "Hier an dieser Stelle werde ich die Horde erwarten, wenn sie in den alten Wald kommt, um ihr Unheil zu verbreiten. An dieser Stelle wird die Schlacht um das alles hier geschlagen werden. Danach wird dieser Ort hier ein Heiligtum sein, gespeist von den verrottenden Leichen unserer Feinde, die den Boden für Neues bilden. Bäume, Natur, Leben." Einer alles umgreifenden Geste folgte der Nachsatz: "Sollte diese Schlacht denn nötig werden."

Dann wurde sein Ausdruck wieder milder. "Es freut mich, dass ihr hier seid. Was führt euch zu mir? Wie kann ich euch helfen?"

Re: [1259] Der alte Wald (Zbigniew, Gabriel)

Verfasst: Do Jul 03, 2025 4:43 am
von Gabriel
Gabriel neigte respektvoll das Haupt, als der Strażnik Lasu aus dem Schatten trat, das Licht der Monde streifte das Eisen seiner Axt wie eine stumme Mahnung. Seine Haltung blieb aufrecht, doch sein Blick war offen, nicht prüfend – sondern empfangend.

„Es freut mich, werter Zbigniew, dass ich Euch hier finde – und noch mehr, dass Ihr mich willkommen heißt.“

Ein Schritt näher, nichts forderndes, doch mit ruhiger Entschlossenheit.

„Ich bin gekommen, weil ich lernen will. Oder besser: weil verstehen will. Wenn ich Euch helfen soll, dies alles zu verteidigen, dann würde es helfen, mehr zu wissen.“

Gabriel deutete mit einer kaum merklichen Geste auf das dämmernde Geäst ringsum.

„Ihr sagvt, ich hätte den alten Göttern folgen sollen. Doch habe ich nie gelernt, den alten Göttern zu folgen. Ich kenne keine Eurer Riten und mir wurden keine Pfade gezeigt.“

Er hielt inne. Nicht aus Unsicherheit, sondern um Raum zu lassen – dem Ort, dem Mann, den Worten.

„Es war, als trügen die Winde Stimmen, die nicht gesprochen wurden… und dennoch verstanden sein wollten. Ich kannte ihren Namen nicht. Aber ich spürte oder besser hoffte, dass sie zu Euch führen. Ich nehme an, dass es die Geister des Waldes sind, von denen ihr spracht.“

Gabriels Blick begegnete dem des Hüters, respektvoll, doch ohne Scheu.

„Wenn Ihr bereit seid, mir mehr von Eurem Weg zu zeigen, dann bin ich bereit, zu lernen.“