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[1259] Das Land und der Wald [Marzanna, Zbigniew]
Verfasst: Sa Jun 14, 2025 10:31 am
von Zbigniew
Die Nacht war das, was man gemeinhin als ungemütlich bezeichnete. Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet und im weitläufigen Gelände um die Burg hatten sich Rinnsale gebildet, die das viele Wasser langsam aber stetig in Richtung Weichsel beförderten. Kein Stern war zu sehen, das Licht des Mondes durch die dicke Wolkendecke nur zu erahnen. Blätter rauschten mit dem Regen um die Wette und kein Mensch war zu sehen auf der Straße, die von der Rudawa hinauf zur Burg führte.
Ein vermummter breitschultriger Mann, eingepackt in eine alte rostige Rüstung, das Gesicht verhüllt mit Kapuze und Tuch, bahnte sich ihren Weg von der Brücke beim alten Wald zwischen Häusern, Bäumen und Feldern zur Burg. Er hielt sich immer etwas unter den Bäumen und nah bei den Häusern. Es schien hier mehr darum zu gehen, etwas zu verbergen, als sich vor dem strömenden Regen zu schützen.
Es dauerte nicht lange und er stand vor dem großen schweren Tor, das ihm den Weg in die Burg versperrte. Der Vermummte schaute sich um, fand einen handgroßen Stein, den er aufhob. Damit klopfte er gegen das Holz.
"Der Wächter des alten Waldes ist gekommen, auf Bitten der Herrin des Landes." Die Stimme klang selbst eher wie eine alte Tür: Kratzig, rau, ungeölt. Hatte ihn jemand gehört? Schwer zu sagen, ob seine Stimme bei diesem Wetter bis in das Innere der Burg vordringen konnte. Ungeduldig klopfte er ein weiteres Mal mit dem Stein an die Tür.
Re: [1259] Das Land und der Wald [Marzanna, Zbigniew]
Verfasst: Sa Jun 14, 2025 10:52 am
von Marzanna
"Lasst das Tor heil, wir sind ja nicht taub!", rief jemand vom Wehrgang des Vorwerks. Hunde bellten im Vorhof.
Rasselnd hörte man Ketten das Fallgatter heben, während rumpelnd die Gegengewichte die Torbrücke senkte und das erste Tor aufschwang. Dahinter standen Burgmannen in Rüstung und mit triefenden Regenmänteln. Eine Meute von Mollossern und Wolfshunden bellte und knurrte, kam aber nicht näher. Der Hauptmann, dessen Hundskugelhelm einem Hundekopf tatsächlich ähnelte, machte eine einladende Geste. "Die Herrin Marzanna erwartet Euch im Garten. Sie melkt die Wolken im Ritus des Dyngus-smigus, dem nassen Montag."
Er führte ihn zum Burggarten, der verwildert wirkte und in dem eine altersschwarze Holzstatue eines slawischen Götzen stand, getarnt als Vogelscheuche und doch eigentlich Schutzgeist des Gartens und der Burg.
Die blasse Marzanna tanzte dort und sang, nur mit einem durchnässten Hemd bekleidet, mit Blumen im Haar. Ein Regenzauber für die Göttin Dodola, wie es schien.
Re: [1259] Das Land und der Wald [Marzanna, Zbigniew]
Verfasst: Sa Jun 14, 2025 6:37 pm
von Zbigniew
Der Wächter des Waldes wartete, bis der Hauptmann sich verabschiedet - mehr als ein kurzes Nicken schien der Neuankömmling noch nicht wert zu sein - und zurückgezogen hatte. Dann erst begann er langsam und im Takt des Liedes, das Tuch abzunehmen und die Kapuze zurückzuziehen. Die verrotteten Lippen des Lichnams kannten den Text, formten sie doch die Worte, ohne sie auszusprechen. Ihm war wohl bewusst, dass dieses Ritual ein Privileg der Frauen war. Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, zwei dicke Hölzer vom Boden aufzunehmen, um damit in den Takt einzustimmen. Wie ein kleiner Donner, der zur Verehrung Dodolas dazu gehörte, schlugen die Hölzer in regelmäßigen Abständen aneinander. Er hielt sich an der Seite, um Marzanna den größtmöglichen Raum für ihren Tanz zu geben, voller Respekt für die Traditionen der alten Götter und im vollen Bewusstsein derselben. Als das Lied geendet hatte, blieb er einen Moment stehen, die Hölzer in der Hand, den Kopf gesenkt im stillen Gebet an die alten Götter, jedoch mit einem zarten Lächeln auf den toten Lippen.
Re: [1259] Das Land und der Wald [Marzanna, Zbigniew]
Verfasst: So Jun 15, 2025 5:50 am
von Marzanna
Der Hauptmann blieb in einiger Entfernung stehen und ging auf ein Knie, während er dem Tanz Zeuge wurde.
Als der alte Ritus endete, wandte sich Marzanna ihrem Gast zu. Sie war triefend nass und wirkte dabei aber sehr zufrieden. Man vermeinte, den Pflanzen beim Wachsen und Gedeihen zusehen zu können.
"Ah, schön dich zu sehen, Wächter des Waldes! Endlich können wir uns ungestört unterhalten und nicht zwischen Tür und Angel im Elysium."
Re: [1259] Das Land und der Wald [Marzanna, Zbigniew]
Verfasst: So Jun 15, 2025 9:57 am
von Zbigniew
Der Untote senkte den Kopf.
"Auch ich freue mich, euch zu sehen. Ich bin nicht sicher, wie ich euch am besten ansprechen kann. Księżniczka? Voivoda Rudawa? Kapłanka Marzanna? Bitte vergebt einem einfachen Mann des Waldes die Unerfahrenheit in diesen Belangen. Ich bin dennoch nicht blind für das Recht der Mächtigen auf angemessenes Verhalten."
Er schien die Worte ernst zu meinen. Die fast vollständige Unkenntnis der höfischen Etikette, nicht nur gegenüber Menschen, sondern auch gegenüber Kainiten, war geprägt vom Bedürfnis, dem Gegenüber dennoch mit dem größtmöglichen Respekt zu begegnen.
Er nestelte in einem Beutel und zog etwas heraus. Es waren ein paar braune Samen, die der geneigte Pflanzenkundler sofort als Eibensamen erkennen konnte. Giftig zwar, aber selten geworden, war die Eibe ein Baum, der gerade unter den Anhängern der alten Götter heilig war.
"Der Wald gab mir dies, zu Ehren eurer Verbundenheit mit dem Land." Er hielt die Samen in der ausgestreckten Hand, die in einem schweren Lederhandschuh steckte, entgegen.
"Ich möchte sie euch überreichen."
Auch deutete ein fragenden Blick in Richtung Hauptmann an, dass er unsicher war, ob er in dessen Gegenwart wohl besser die Kapuze angelassen hätte.
Re: [1259] Das Land und der Wald [Marzanna, Zbigniew]
Verfasst: So Jun 15, 2025 8:12 pm
von Marzanna
Der Hauptmann, der das Treiben beobachtete und wohl Leibwächterfunktion hatte, zuckte beim schauerlichen Anblick nicht mal zusammen.Fast, als sei er schlimmeres gewohnt.
"Koldun'ia wäre der Titel, den ich bevorzugen würde, wenn ich nicht in höfischer Etikette verstrickt bin und das Gesicht wahren muss.."
Sie nahm die Samen dankbar entgegen. "Die Eibe, der Wächterbaum zwischen Diesseits und Jenseits und ein Mittel gegen böse Geister! Ich werde sie am Kirchhof pflanzen, dort werden sie prächtig gedeihen.
Und Eibenholz will ich nutzen in Ritualen und auch Waffen gegen die unheimliche Bedrohung. Ich denke, er Wald jenseits des Flusses will mir genau das damit sagen.
Die Eibe als Psychopomp ist ein mächtiges Symbol. Hab Dank und sage dem Wald auch meinen Dank."
Re: [1259] Das Land und der Wald [Marzanna, Zbigniew]
Verfasst: Mo Jun 16, 2025 2:33 pm
von Zbigniew
Der untote Wächter nickte verstehend: "Ich werde dem Wald eure Worte übermitteln, Koldun'ia."
Der Regen schien weder an Intensität zuzunehmen, noch nachzulassen. Gleichmäßig prasselte das Wasser auf Dächer, Mauern, Pflanzen, Mensch und Kainit.
Der Wächter wurde ernst.
"Wie habt ihr die letzte Invasion der Horde überstanden? Wie habt ihr eure Burg geschützt? Das Land, die Bauern?"
Kurz dachte er nach. Mit kratzender Stimme fügte er hinzu:
"Wir sind Nachbarn. Ihr seid das Land nördlich der Rudawa, ich bin der Wald südlich davon. Es würde mich freuen, wenn wir uns bei einer erneuten Invasion, die unzweifelhaft kommen wird, helfen können."
Re: [1259] Das Land und der Wald [Marzanna, Zbigniew]
Verfasst: Mo Jun 16, 2025 6:10 pm
von Marzanna
"Ihr kommt mir zuvor mit dem Vorschlag gegenseitiger Hilfe.
Ich wollte Euch auch bitten, Ausschau zu halten nach unheiligen Zeichen und entweihten Orten. Im Vorfeld der bevorstehenden Tatarenangriffe treiben sich unnatürliche Feinde herum, die christliche Kirchen und alte Heiligtümer gleichermaßen angreifen. Achtet auf solche Dinge und zerstört ihre Zeichen, die sie hinterlassen."
Sie seufzte. "Viele starben beim letzten Angriff, viele wurden verschleppt, viele verhungerten im Winter, der folgte. Die Burg hielt und mein Wald schützte viele.
Wir waren überrascht. Diesmal bin ich vorbereitet. Die Tataren allerdings auch. Das letzte Mal hatten sie ihre Belagerungsmaschinen auf Krakau zentriert. Diesmal, fürchte ich, werden sie auch gegen kleiner Burgen und Klöster Maschinen einsetzen. Sie kommen nicht, um zu erobern, sondern diesmal, um Städte zu zerstören.
Also werden meine Leute sie in den Kalkfelsen und unwegsamen Wäldern überfallen, wo ihre Reiterei nicht überlegen ist."
Re: [1259] Das Land und der Wald [Marzanna, Zbigniew]
Verfasst: Di Jun 17, 2025 7:48 pm
von Zbigniew
Der Strażnik Lasu nickte bestätigend, vielleicht auch mit einem leichten Schmunzeln auf den untoten Lippen.
"Ich halte Ausschau. Fand bereits ein paar Spuren von Spähern. Wir werden sehen, ob sie den alten Wald überleben. Auch nach den Zeichen werde ich Ausschau halten. Doch die heiligen Orte des alten Waldes sind nicht leicht zu finden. Und sie haben ... unangenehme Verteidiger."
Er lauschte den Geschichten, die die Koldun'ia von den letzten Angriffen erzählte. Ehrliches Bedauern war in seinen bleichen toten Augen zu erkennen. Er schien ein tieferes Verständnis für das Schicksal der Verschleppten zu haben. Mitfühlend. Vielleicht auch miterlebend?
"Auch ich bin vorbereitet. Allerdings kann niemand von uns alleine bestehen. Ihr könnt sicher sein, dass ich alles dafür tun werde, die Horde von euren südlichen Grenzen fernzuhalten. Vielleicht aber sollten wir gemeinsam dafür sorgen, dass Krakau nicht fällt. Ich schwor dem Krieger Gabriel meine Hilfe für die Verteidigung der Stadt. Wenn sie hält, ist alles auf dem Weg weiter nach Westen ebenfalls sicherer. Sollte sie fallen, wird im alten Wald die nächste Schlacht ausgetragen, auf dem Weg zu eurer Burg."
Re: [1259] Das Land und der Wald [Marzanna, Zbigniew]
Verfasst: Mi Jun 18, 2025 8:18 am
von Marzanna
"Ich schätze, nach den Erfahrungen vom letzten Mal, werden die Tataren nicht Ort für Ort angreifen, sondern an vielen Stellen gleichzeitig, während sie Krakau einkreisen.
Wir werden Krakau am besten helfen, indem wir unsere Domänen im Umkreis halten und ihren Nachschub stören und ihre Truppen binden und in die Felsen und Wälder locken, wo ihnen ihre Gäule nichts nützen."