Krakau bei Nacht

Zofia hatte zu den ersten Dingen, welche Marzanna berichtet hatte, durchaus zustimmend und interessiert genickt, bevor sie diese jedoch fragend anblickte und sich verwirrt erkundigte: „Was meint ihr mit, wie man das lebende Fleisch und die Knochen verändert?“

Marzanna lächelte milde. Es war unwahrscheinlich, dass die Gelehrte vom Hohen Haus des Todes nie Horrorgeschichten erzählt bekommen hatte, was Tzimisce mit Feinden ... und Verbündeten an Widernatürlichem tun konnten. Gerade je weiter man in die wilden, östlichen Lande der Slawen und Balten vordrang, desto offener stellten die Drachen ihre Künste zur Schau.

"Euer Hohes Haus ist Meister über alles, was mit dem Tod zu tun hat, das Meine ist Meister über alles, was mit dem Fleisch zu tun hat, lebendig oder tot.
Meine anatomischen Studien und medizinischen Künste beruhen auf dieser Blutmacht meines Hauses. Subtil angewendet, vermag ich Schönheit zu schaffen oder, weniger subtil angewendet, Schrecken.
Ich vermag Leiden zu heilen, denen Medici und Gebete machtlos gegenüberstehen, oder mit Entstellung und Gebrechen strafen, wer sich gegen mich wendet."

Auch wenn es für die Drachin unwahrscheinlich schien, so hatte die Kappadozianerin in Benediktinerinnenkleidern doch eben jene Frage mit einer solchen Unschuld gestellt, als hätte sie nie von eben jedem Horror gehört, über welchen Marzanna berichtete. „Beeindruckend.“, erklärte die Kappadozianerin konträr dazu ganz ohne Scheu, mit einer durchaus hörbaren Begeisterung und Faszination in der Stimme, bevor sie abwog und sich weiter erkundigte: „Ist es euch möglich totes Fleisch so zu verändern, so dass es weiterhin funktional ist, ohne dabei zu vergammeln? Wie ein abgeschlagener Arm, der weiterhin greifen, sich drehen oder all das tun kann, was ein Arm ebenso tun kann, ohne irgendwann zu einem matschigen Klumpen oder auch Knochen zu zerfallen?“

Nun war es an Marzanna eine morbide Faszination und Neugier an den Tag zu legen. "Das ist eine Möglichkeit, an die ich nie gedacht habe, selbst wenn ich bei meinen Übungen in der Fleischkunst auch an totem Gewebe gelernt habe.

Es scheint mir möglich.

Knochen könnte ich zu der Härte von Zähnen verdichten und Fleisch zu wächserner Struktur. Die Fäulnis von Sehnen und Muskeln ließe sich mit giftigen Dingen verhindern, wie dem flüssigen Narrensilber zum Beispiel. Aber das wäre eher etwas für Alchemisten wie Euch.
Aber im Konzert gemeinsamer Versuche könnten solche Forschungen unsterbliche Krieger schaffen oder haltbarere Dienstboten."

„Eine wirklich interessante Überlegung.“, bestätigte Zofia die morbiden Gedankenzüge der Tzimisce, nicht ohne eine gewisse Anerkennung für deren flexiblen Geist. „Allerdings ist die Schwierigkeit das Katzensilber in die Sehnen oder Muskeln einzubringen. Es verhält sich völlig konträr zu Eisen.“, stellte die Kappadozianerin fest, bevor sie abwiegend meinte: „Nun nicht ganz. Es schmilzt durchaus auch, aber eben in keine Schmelze, wie bei Eisen. Vielmehr… zerfällt es… In einer gewissen Art und Weise. Und selbst wenn es gelänge wären die Temperaturen zu hoch, als dass nicht Sehnen und Muskeln dabei zerstört werden würden. Ich denke wir würden hier eher eine natürlichere Art der Konservierung benötigen. Allerdings leiden alle mir bekannten Arten darunter, dass sie in Kontakt mit der Luft erneut dem Fäulnisprozess einher fallen würden. Oder der Flexibilität schaden.“ Ein leises Seufzen war seitens der Benediktiner zu hören.

Marzanna überlegte: "Nein, nein, kein Katzensilber, sondern Narrensilber. Das Silber, das ohne es zu erhitzen immer flüssig ist. Ihr wisst schon, das kecke Silber, das man auch in der Heilkunst verwendet, obwohl zu viel davon blöde macht.
Meine Metallarbeiter nutzen es zum Lösen von Edelmetallen oder zum Aufdampfen.
Es ist so nützlich, dass es selbst Fäulnis aufhält. Es verbindet sich einfach mit allem. Ich hoffe, eine Alchemistin, wie Ihr es seid, kann mir irgendwann erklären, wieso es das tut."

Fragend blickte Zofia auf ihr Gegenüber, dieses nachdenklich musternd, ob ihrer Erklärung, bevor sie sich erkundigte: „Meint ihr womöglich lebendiges Silber? Es würde zu dem passen, was ihr an Eigenheiten und Verwendungsmöglichkeiten beschrieben hattet. Seine Lebendigkeit mag auch der Grund sein, weshalb es sich gerne mit anderen Dingen verbindet. Allerdings schädigt es das Fleisch. Massiv. Die Frage wäre also, ob diese Schädigung zu unterbinden wäre. Oder auch womit.“ Weiterhin nachdenklich sah die Kappadozianerin auf die Tzimisce.

"Ja, das quicklebendige Silber. Das meine ich. Oh, es schädigt Fleisch? Dann wäre es ja nicht gut, es in der Medizin so reichlich zu verwenden, wie man es macht.
Nun, ich habe zu wenig Ahnung von der Alchemie. Nur dass die Schmelzer Quikes Silber brauchen, um Metalle und Erz zu trennen."
Sie lächelte. "Aber dafür habe ich ja jetzt Euch, die forschen kann und solche Dinge weiß.
Ich glaube, ich werde ein paar Quacksalber auspeitschen lassen, wenn sie wieder flüssiges Silber für Mondblutbeschwerden verabreichen."

„Alles schädigt, so es denn zu viel des Guten ist.“, erklärte Zofia beruhigend. „Und so ihr das Fleisch darin konserviert, wäre es ja stets darin und gänzlich alles davon über lange Zeit getränkt. Ganz im Gegensatz zur Verwendung in der Medizin. Ich denke ein Auspeitschen wird deshalb nicht nötig sein. Sie wissen ja, was sie tun.“, ergänzte die Kappadozianerin.

"Oh, das ist ja ein sehr weiser Spruch. Da ist wohl was dran.

Man sieht, dass Ihr viel bewanderter in solchen Dingen seid als ich.
Ich muss es unbedingt lernen, was Ihr an Wissen vermitteln könnt.
Ich würde dafür dem Kloster oder Euch, so Euer Habit nur Tarnung ist und Ihr doch Habe besitzen könnt, reichen Lohn entgelten."