Krakau bei Nacht

Das Lächeln von Natalia verblasste leicht, als Pawel schließlich auf sie zutrat. Auch sie nickte ihm noch einmal freundlich zu. Sie strich sich über ihr rotes Kleid, um dieses ebenso glatt zu bekommen, wie Pawel seine Robe.

"Ich danke euch für eure Begrüßung. Ich habe schon damit gerechnet hier nicht von jedem mit offenen Armen empfangen zu werden, aber dies? Nunja." sie seufzte. "Ich vermute das es hier ähnlich ist, wie überall sonst? Die einzige Waffe die ein Kainit im Elysium ziehen darf ist seine scharfe Zunge?"

Noch einmal schweifte ihr Blick hinüber zur Tür, durch die Marzanna entschwunden war. "Es scheint auch so, dass nicht alle den Herrschaftsanspruch des Prinzen über die ganze Domäne anzuerkennen. Was sehr schade ist." sie schüttelte leicht den Kopf. "Ich werde keinerlei Fehde in dieser Domäne austragen. Nur befürchte ich...diese Entscheidung liegt nicht ganz allein bei mir. Gibt es etwas das ich noch über die Domäne wissen wollte? Insbesondere...wie weit dehnt sich die offizielle Domäne der werten Marzanna ab dem westlichen Tor aus? Ist das offiziell vom Prinzen anerkannt?"

"Ich bin nur Pawel und solange es bei dem eben Erlebten bleibt, habe ich mich herauszuhalten,“ sagte der Wirt mit seiner leicht schnarrenden Stimme. „Ich kann nicht sagen, ob es hier ist wie überall sonst. Doch körperliche Auseinandersetzungen sind ebenso verboten wie der Einsatz der geheimen Kräfte. So haben es die Ältesten verfügt.“ Er antwortete ergeben, bis er schließlich auch noch einmal zur Tür sah und begann, sich die Hände zu reiben wie ein Kaufmann, der ein Geschäft wittert. Alsdann ging der Blick dieser vormals freudlosen Augen zurück zu Natalia. Nun war da etwas anderes und mit einem erneuten Lächeln ergänzte er: „Nun, in ihrer Weisheit haben die Ältesten verfügt, dass ich Informationen nur für Gegenleistungen preisgeben darf. So ihr bereit seid, dem Elysium Krakaus einen Dienst zu erweisen…“ Unter der Theke holte der kräftig gebaute Wirt ein Stück knorriger Rinde hervor und schob es der Neugeborenen zu. „…kratzt euren Namen hier hinein und mir ist es gestattet, euch zu antworten."

Natalia nickte dem Wirt zu. Sie hatte so etwas erwartet. Das Elysium war ein Ort der Neutralität und so war es auch hier. Die Waffen der Wahl in diesem Raum war die Etikette und die Politik. Zwei scharfe Schneiden, auf denen sie ausgebildet worden war zu balancieren. Glücklicherweise war das nicht bei allen Neugeborenen der Fall. Nicht einmal die...alten Neugeborenen schienen da eine Ausnahme zu sein. Das würden noch spannende Zeiten werden.

Schließlich sank ihr Lächeln etwas und erreichte nun auch die Augen nicht mehr, während sie das Stück Rinde betrachtete, dass ihr Pawel vorgelegt hatte. Sie überlegte kurz. Wie viel war ihr die Information wert? Aber letztendlich kam sie zu einer Entscheidung, auch wenn es ein guter Start in das Spiel der Gefallen und Gegengefallen zu starten gewesen wäre. "Ich denke...ich verzichte vorerst auf eine Antwort. Ich danke euch aber trotzdem für die Information über diese Regel. Sie ergibt durchaus Sinn." Ihr Lächeln erreichte wieder die Augenpartie. "Sagt. Habt ihr auch etwas zu trinken? Mir ist danach meine Kehle zu befeuchten."

Es machte dem Wirt scheinbar nichts aus, dass sie ablehnte, und ohne eine Regung zog er das Stück Rinde wieder unter den Tresen. "Natürlich. Dies ist eine Taverne. Wonach steht euch der Sinn?" Er breitete einen Moment die Arme aus und sprach ohne wirklichen Verkaufsenthusiasmus: "Bier...Wein..." nur um schließlich verschwörerisch hinzuzufügen: "...der Kelch...oder...die Spezialität des Hauses?" fragte er mit schnarrender Stimme und schien die ersten beiden Getränke nur der Form halber aufgezählt zu haben.

Noch bevor Natalia antworten konnte, zog er bereits einen Kelch unter dem Tresen hervor und sah sie danach erwartungsvoll an.

Natalia schien einen Moment tatsächlich zu überlegen. Als ob es wirklich eine Überlegung war, auch Bier oder Wein zu probieren. War das doch bei Kainiten gar nicht möglich. "Ich gehe davon aus, dass die Spezialität des Hauses ohne Zusätze ist? In diesem Fall, würde ich gerne die Spezialität wählen." Sie lächelte. "Sagt. Wie lange führt ihr schon die blutige Klinge?"

"Der Kelch ist das, von dem ihr ausgeht. Die Spezialität ist..." Pawel lächelte kalt, "...eine Spezialität." ergänzte er und das Lächeln erstarb. Während er auf ihre Antwort wartete nutze er die Zeit um die Frage der Tremere zu beantworten. "Ich habe den Überblick verloren. Die Jahre fließen dahin, wie die Weichsel und irgendwann beginnt man aufzuhören zu zählen." kurz fuhr seine kräftige Hand über den kahlen Schädel. "Welches Jahr haben wir?" noch bevor Natalia etwas sagen konnte murmelte der glatzköpfige Mann mit seiner schnarrenden Stimme "Ich hüte dieses Elysium seit dem Tag, als der Himmel brannte und die Hufe der östlichen Reiter unsere Mauern erzittern ließen. Seither wacht das Hejnał über uns, und meine Pflicht begann mit dem letzten Pfeil, der unsere Stadt traf."

"Dann einmal die Spezialität des Hauses." lächelte sie den freudlosen Wirt an. Sie lies sich nicht von seinem nicht vorhandenen Lächeln aus der Fassung bringen. "Wir haben das Jahr 1258. Es dürfte also etwa 17 Jahre her sein." schmunzelte sie. "Das ist kürzer, als ich erwartet hatte." Sie schlug entspannt ein Bein über das Andere und stützte ihr Kinn auf ihren Handballen, sowie den Ellenbogen auf die Theke und betrachtete den kahlköpfigen Wirt immer noch interessiert. "Erzählt mir von dem Sturm der Mongolen, der auf diese Stadt eingeprasselt ist. Wart ihr damals bereits ein Wirt? Oder wart ihr ein General, der bei der Verteidigung seine Truppen auf den Mauern alles gegeben hat?"

Pawel nickte und murmelte: "Einen Moment...". Danach drehte er sich um und verschwand zwischen zwei der größeren Fässer. Am Ende der Reihe trat er hinter eines davon und man konnte kurz ein paar seltsame Geräusche vernehmen, ehe der Wirt mit einem gefüllten Becher zurückkam. Noch bevor er die Theke erreichte, konnte Natalia den süßen Geruch von Vitae ausmachen.

Als Pawel ankam, stellte er den Kelch ab und schob ihn mit den Worten "Wohl bekomm's..." herüber und widmete sich im Anschluss den weiteren Fragen. "Ich war damals kein Wirt, aber wohl auch kein General." Kurz wanderte sein Blick durch die Räumlichkeiten. "Tatsächlich war ich zu der Zeit dort, wo die Wisla ins große Wasser mündet. Unglücklicherweise, doch ich vermute, es wäre mir ähnlich ergangen wie vielen Neugeborenen zu der Zeit."

Natalia zog kurz die Augen zusammen, wegen der zu hörenden Geräusche, aber sie lies es geschehen. Sie wusste wie Blut gewonnen wurde. Als der Becher schließlich vor ihr abgestellt wurde, nahm sie ihn nicht direkt auf, sondern hörte erst den Ausführungen Pawels zu. "Hat der Mongolensturm so viele Neugeborenen das Unleben gekostet? Wisst ihr ob mit den Mongolen auch Kainiten gereist sind?" fragte sie neugierig und hob schließlich den Becher an, nur um dann auch einen Schluck des Vitae zu nehmen.

Noch während die kostbare Vitae ihre Kehle herunterrann konnte sie den Alkohol und irgendetwas anderes schmecken. Ihre Augen wurden groß und sie setzte den Becher langsam wieder ab. "Ihr mischt einen guten Tropfen in die Vitae, Pawel. Ich vermute Regional gebrannter Schnaps?" Sie lächelte, während die Hitze des Alkohols und der offenbar noch beigemischten Droge durch ihren Körper schoss. Sie hatte nicht mit so einer Wirkung gerechnet. Aber andererseits gefiel ihr die Wirkung, so nahm sie einen zweiten Schluck.

"Selbst gebrannter...", antwortete der Wirt und nickte zufrieden. "Versehen mit ein paar Kräutern." Mit der flachen Hand strich Pawel nachdenklich über die Maserung des Tresens. "Der Angriff hat so ziemlich alle Nächtlichen ihre Existenz gekostet. Von einigen weiß man..." Die Augen wanderten unter den Tresen, vermutlich dorthin, wo er das Stück Rinde abgelegt hatte, "...von anderen vermutete man es..." Nun hob er den Blick wieder, "...und von einigen wünscht man es sich..."

"So wie mir berichtet wurde, waren auch Kinder Kains an dem Angriff beteiligt. Aber diejenigen wenigen, die darüber berichten könnten..." Er schüttelte kurz den Kopf, "...sprechen ungern darüber, und ich befinde mich nicht in einer Position, darauf zu bestehen." Nun griff er einen Becher und füllte sich selbst einen Krug an einem der Fässer. "So, woher stammt ihr? Was treibt euch her?" Leicht legte er den Kopf schräg. "Ich habe euch hier noch nicht gesehen, und dieser Streit..." Er leckte sich kurz über die Lippen, "...war schon eine der aufregenderen Dinge, die hier passiert sind seit..." Der Blick des Wirts wanderte in die Ferne. "...nun, seit ich der blutigen Klinge diene."