Das Flüstern der Weichsel

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Bogdan
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Das Flüstern der Weichsel

Beitrag von Bogdan »

Der Duft von Weihrauch lag schwer in der Luft.
Myrrhe mischte sich darunter – alt, fremd, vertraut.

Bogdan stand still in der schmalen Gasse.
Vor ihm das Haus.
Schief, schwankend, leise atmend wie ein Greis.
Das Holz war vom Alter geschwärzt, das Dach krumm,
als hätte es sich müde gegen die Nachbarn gelehnt.

Hinter dem Haus – die Weichsel.
Träge. Dunkel. Wach.

Er folgte dem verwitterten Pfad zur Anlegestelle.
Die Holztreppe knarzte.
Schilf wiegte sich im Wind.

Nikolai wartete schon.
Die gestreifte Katze strich um seine Beine,
der Schweif zuckte aufmerksam,
die gelben Augen auf das Wasser gerichtet,
als könnte er darin etwas lesen.

Bogdan ließ sich auf einen glatten Stein nieder.
Er legte einen kleinen, mit dem Messer geschnitzten Kahn neben sich.

Die Maserung des Holzes schimmerte matt.
Darin ein winziges Stück zusammengerolltes Leder,
mit Zeichen, die man hier kaum las.

„Ich war fünf“, sagte er leise.

Seine Stimme vermischte sich mit dem Plätschern des Flusses.

„Alt genug, um heimlich zu gehen. Dumm genug, es auch zu tun.“

Seine Stimme war leise, aber fest.

„Ich folgte einem Vogel. Schwarz. Ohne Laut.
Ich dachte, er wolle mir etwas zeigen.“


Seine Hand fuhr durchs Wasser,
spührte seinen sanften Widerstand.

„Er führte mich in einen Ring aus Farnen.
Der Wald war tief, alt.
Schwarz und still.
Und ich… verlor mich.“


Er lächelte.

„Er verschluckte mich.
Ich hatte kein Maß für Entfernungen.
Kein Maß für Angst.“


Das Wasser antwortete mit einem leisen
Plock
als ein Tropfen fiel –
nicht vom Himmel, sondern vom Nichts.
Ein unregelmäßiger Rhythmus begann,
fast wie ein ferner Takt.

Ein zweiter. Unregelmäßig.
Das Geräusch kam nicht vom Regen.
Sondern von irgendwo unter der Oberfläche.

Nikolai zuckte nicht.
Er kannte dieses Spiel.

Bogdan hob den Kopf, blinzelte.

„Ich hatte Angst. Aber ich erinnerte mich an die Worte meiner Babcia.“

Er sah Nikolai an, der starr aufs Wasser blickte.

„‚Der Wald liebt keine Rufe. Nur Schweigen. Und Lauschen.‘“

Nikolai zuckte.
Wellenmuster tanzten über die Oberfläche.

„Ich setzte mich auf einen Stein.
Und dann hörte ich es.“


Bogdan senkte die Stimme.

„Tok… tok… tok…“

Er klopfte leise mit dem Finger auf den Stein.

„Ein Geräusch. Tief. Nicht laut. Aber da.“

Er schloss die Augen.

„Wie ein Herz unter der Erde.
Ich ging darauf zu.
Und fand meinen Vater.
Er schlug Holz.
Im gleichen Takt.“


Ein Windstoß kräuselte die Oberfläche.
Kleine Kreise breiteten sich aus.
Nikolai saß am Rand, unbeweglich,
die Ohren gespitzt,
als lauschte auch er der Erinnerung.

„Seitdem glaube ich“, sagte Bogdan,
„dass Wahrheit leise kommt.
Und dass sie sich hören lässt, wenn man still genug ist.“


Dann nahm er den kleinen Kahn mit dem zusammengerollten Leder.

„Die Geschichte von Shahrzad und dem Affen mit dem goldenen Spiegel“,
murmelte er.

„Eine, die ich gehört habe. Nicht meine. Aber eine gute.“

Er setzte das Schiff ins Wasser.
Der Strom nahm es mit.
Es schaukelte leicht.
Trieb dann hinaus in die Dunkelheit.

Bogdan sah ihm nach.

„Meine Geschichten bleiben hier.
Die anderen… sollen fahren.“


Hinter ihm schnurrte Nikolai.
Vor ihm flüsterte die Weichsel.
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Bogdan
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Re: Das Flüstern der Weichsel

Beitrag von Bogdan »

Der Alte saß im Schatten des Hauses.

Das Holz knarrte leise unter seinem Gewicht, als er sich auf dem niedrigen Schemel niederließ.
In der Luft lag der Geruch von Moos, altem Papier und warmer Erde.
Von draußen drang das stetige, ruhige Strömen des Flusses herein,
als würde die Weichsel selbst zuhören.

Seine Finger glitten über einen glatten Stein,
dann über das Fell eines Katers, den nur wenige wirklich sahen.
Sein Blick blieb auf die offene Tür gerichtet, wo draußen das Wasser glitzerte.

„Ich war vielleicht acht oder neun, als es geschah.“

Die Worte waren leise, eher dem Raum als einem Gegenüber gesprochen.
Und doch galt sie jemandem – vielleicht Nicolai, vielleicht dem Haus, vielleicht der Weichsel selbst.

„Mein Dziadek lag im Sterben.
Die Familie war versammelt.
Die Mutter weinte.
Der Pfarrer murmelte, doch er... er rief nur nach mir.“


Ein Hauch von Rauch schlich durch den Raum,
wie die Erinnerung selbst, die plötzlich Form annahm.

„‚Bogdan‘, hat er gesagt, ‚du wirst meine Stiefel holen, wenn ich fort bin.
Du wirst sie reinigen.
Und du wirst sie dem geben, der mein Werk fortführt.
Nicht dem Ältesten. Nicht dem Priester.
Dem, der den Weg versteht.‘“


Ein Lächeln huschte über sein Gesicht – kurz und schief.

„Ich war ein Kind. Ich habe genickt. Ich habe es versprochen.“

Ein Windstoß ließ ein Papier im Regal rascheln.

„Nach seinem Tod...
niemand wollte die Stiefel.
Sie rochen nach altem Leder, nach Schweiß und Blut.
Doch ich – ich hab sie genommen.
Hab sie gereinigt.
Hab gewartet.“


Der Alte sah nun auf den Boden, als lausche er einem zweiten, inneren Strom.

„Jahre später kam ein Mann.
Dunkle Haare, dunkle Augen.
Er sprach wenig.
Er kannte den Wald.
Er wusste, wann man den Wind hört – und wann man ihn fürchtet.“


Er nickte, diesmal nicht zu sich selbst, sondern vielleicht dem Geist eines längst gegangenen Jägers.

„Ich gab ihm die Stiefel.
Er hat sie nicht sofort angenommen.
Aber er hat sie getragen.
Viele Jahre.
Bis ich ihn Jahre später wiedertraf.“


Bogdan erhob sich langsam, nahm ein kleines Holzbötchen, das in einer Ecke auf ihn gewartet hatte.

Er trat zur Türschwelle, blickte auf das glitzernde Schwarz der Weichsel.
In das Bötchen legte er ein kleines Stück zusammengefaltetes Leder –
darauf mit ruhiger Hand nur ein einziger Titel geschrieben.

„Der treue Wesir und der falsche Freund“

Die Geschichte befand sich im Inneren.

Mit leiser Geste setzte er das Boot aufs Wasser.
Ein Ruck, ein Schubser –
und es trieb hinaus, der Strömung folgend,
fort in die Nacht.

Er sprach nicht mehr.
Das Haus atmete still.
Und die Weichsel nahm die Geschichte mit.
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